OLG Frankfurt a.M. v. 16.1.2023 - 2 Ws 7/23

Haftbefehl: Verdachts auf Betrieb eines Schnellballsystems über Goldanlagen

Macht ein Angeklagter wegen des Verdachts des Betriebs eines Schnellballsystems über Goldanlagen keine Angaben zum Verbleib der Tatbeute (hier: über 140 Mio. €), kann sich dies zu seinen Lasten im Rahmen der Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes nach Verbüßung von 2/3 der Freiheitsstrafe auswirken. Der vom LG vorliegend außer Vollzug gesetzte Haftbefehl wurde vom OLG wieder in Vollzug gesetzt. Der Angeklagte hat u.a. wegen der noch zu vollstreckenden Freiheitsstrafe einen erheblichen Fluchtanreiz.

Der Sachverhalt:
Laut Anklageschrift soll der Angeklagte den Betrieb eines Schneeballsystems über Goldanlagen ein großangelegtes Betrugssystem aufgebaut und unterhalten haben. Er wurde im September 2019 festgenommen. Das LG verurteilte ihn im Dezember 2022 wegen Betruges in drei Fällen sowie vorsätzlicher Geldwäsche zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten. Gleichzeitig setzte es den weiteren Vollzug des Haftbefehls außer Vollzug. Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt.

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Außervollzugsetzung des Haftbefehls. Das OLG ordnete daraufhin die Untersuchungshaft bis zur Rechtskraft des Urteils zur Sicherung der Vollstreckung an. Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

Die Gründe:
Es liegen sowohl ein dringender Tatverdacht als auch der Haftgrund der Fluchtgefahr vor.

Der dringende Tatverdacht des Betrugs und der vorsätzlichen Geldwäsche ergibt sich bereits aus den Einschätzungen des LG, an die das OLG gebunden ist. Es liegt zudem der Haftgrund der Fluchtgefahr vor. Diese ist anzunehmen, wenn die Würdigung der konkreten Umstände des Falles es wahrscheinlicher macht, dass der Angeklagte sich dem Verfahren entzieht, als dass er sich zur Durchführung des Verfahrens zur Verfügung hält.

Hier bietet allein die unter Berücksichtigung der Untersuchungshaft noch zu vollstreckende Restfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten einen erheblichen Fluchtanreiz. Dazu kommt, dass der Verbleib von 140 Mio. € aus der Tatbeute ungeklärt geblieben ist und nach den Angaben des LG Vermögenswerte in erheblichem Umfang in die Türkei transferiert worden sind. Das betrügerische Geschäftsmodell weist erhebliche Verbindungen zur und in die Türkei auf. Der Angeklagte, der selbst türkischer Staatsangehöriger ist, sieht sich zudem Schadensersatzforderungen in dreistelliger Millionenhöhe ausgesetzt. Er ist jederzeit in der Lage, sich in die Türkei abzusetzen. Aus der Türkei kommt eine Auslieferung wieder nach Deutschland nicht in Betracht.

Diesem Fluchtanreiz stehen auch keine durchgreifenden fluchthemmenden Umstände gegenüber. Der Angeklagte wohnt zwar mit seiner Kernfamilie in Deutschland. Er verfügt jedoch über familiäre und berufliche Beziehungen in sein Heimatland. Es ist entgegen der Einschätzung des LG auch nicht davon auszugehen, dass nach dem Verbüßen von 2/3 der Freiheitsstrafe, d.h. noch einem Jahr und drei Monaten, der verbleibende Strafrest zur Bewährung ausgesetzt wird. Eine solche Strafrestaussetzung setzt u.a. eine günstige Legalprognose voraus, d.h. jedenfalls die naheliegende Chance für ein künftig straffreies Verhalten.

Dieser günstigen Prognose steht hier bereits entgegen, dass der Angeklagte keine Angaben zum Verbleib der Tatbeute gemacht hat. Der Angeklagte trägt als Begünstigter einer Strafrestaussetzung die Verantwortung dafür, dass er über den Verbleib der Anlegergelder keine Angaben gemacht hat und er keine Buchhaltung und keine Nachweise für den Edelmetallan- und -verkauf geführt hat. Etwaige Zweifel wirken sich zu Lasten des Angeklagten aus. Die vom LG geäußerte Annahme eins defizitären Geschäftsmodells ist für sich genommen nicht begünstigend. Ihr steht auch entgegen, dass nach einem der beworbenen Geschäftsmodelle rd. eine Tonne Gold in Tresoren der Anleger verwahrt werden sollte und der Goldpreis von 2010 bis 2020 um rd. 40 % gestiegen ist. Dass der Angeklagte nicht mehr über Vermögenswerte verfügt, ist nicht nachvollziehbar. Es ist vielmehr lebensfremd, dass sich ein dreistelliger Millionenbetrag spurlos in Nichts auflöst.

Mehr zum Thema:

Beratermodul ZWH – Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen

Die ZWH informiert über aktuelle Probleme aus den Bereichen Wirtschaftsstrafrecht und Steuerstrafrecht. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. Wann immer es zeitlich passt: Für Fachanwälte bietet dieses Modul Beiträge zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat. 4 Wochen gratis nutzen!



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 01.02.2023 15:43
Quelle: OLG Frankfurt a.M. PM Nr. 7 vom 1.2.2023

zurück zur vorherigen Seite